Neue Studien: Nichtmedikamentöse Therapien bei ADHS wirken – aber bei weitem nicht so stark wie Stimulanzien
Stimulanzien wirken nachweislich am besten
Eine große Meta-Analyse, veröffentlicht in The Lancet Psychiatry, wertete 113 Studien mit fast 15.000 Erwachsenen (zwischen 19 und 44 Jahren) aus. Das Ergebnis war eindeutig:
➡️ Stimulanzien – also Medikamente wie Methylphenidat (z. B. Ritalin®, Medikinet®) und Amphetamine (z. B. Elvanse®) – reduzierten die ADHS-Symptome deutlich stärker als nichtmedikamentöse Verfahren.
Sowohl Ärzt:innen als auch Betroffene berichteten innerhalb von 12 Wochen über klare Verbesserungen in Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Strukturierungsfähigkeit. Amphetamine und Methylphenidat wirkten dabei gleich gut.
Auch das Nicht-Stimulans Atomoxetin zeigte eine gewisse Wirksamkeit, wurde aber im Vergleich zu Placebo weniger gut vertragen.
Was ist mit Therapie, Neurofeedback oder Achtsamkeit?
Nichtmedikamentöse Behandlungsformen – etwa kognitive Verhaltenstherapie (KVT), Neurofeedback oder Entspannungstraining – können langfristig hilfreich sein. Doch: Die Studienlage ist uneinheitlich. Manche Patient:innen berichten über Verbesserungen, andere über kaum spürbare Effekte.
Die Forschenden betonen, dass solche Verfahren zwar wertvolle Ergänzungen darstellen, aber nicht an die Wirksamkeit der medikamentösen Therapie heranreichen.
Ein zweiter Forschungsbericht in JAMA Psychiatry kam zu einem ähnlichen Schluss: Neurofeedback zeigte in 38 Studien mit über 2.400 Teilnehmer:innen keinen signifikanten Effekt auf Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität oder Impulsivität. Die leichte Verbesserung der Verarbeitungsgeschwindigkeit war zu gering, um von einer klinisch relevanten Wirkung zu sprechen.
Neuere Verfahren wie fMRT- oder fNIRS-Neurofeedback konnten die Ergebnisse bisher nicht verbessern.
Stimmen aus der Praxis
Auch Expert:innen wie Dr. Stephanie Sarkis, Psychologin und Autorin mehrerer ADHS-Ratgeber, sehen Neurofeedback kritisch:
„Viele berichten zwar, dass sie sich nach den Sitzungen etwas fokussierter fühlen, doch der Effekt hält nicht lange an. Für das, was es kostet – zumal es kaum von der Krankenkasse übernommen wird – ist das Ergebnis enttäuschend.“
In einer großen Umfrage von ADDitude (2023) mit über 11.000 Teilnehmenden gaben nur 9 % der Erwachsenen und 14 % der Kinder an, Neurofeedback ausprobiert zu haben. Die Wirksamkeit wurde auf einer Skala von 1 bis 5 mit 2,9bewertet – Medikamente hingegen erreichten 3,5 bis 3,6 Punkte.
Warum Medikamente in der Leitlinie an erster Stelle stehen
Die Effektstärken von Stimulanzien (zwischen 0,8 und 1,0) gehören zu den höchsten in der gesamten Psychiatrie. Deshalb empfehlen Fachgesellschaften weltweit – darunter auch die American Academy of Pediatrics – Medikamente als Behandlung erster Wahl, insbesondere bei ausgeprägter Symptomatik.
Für Kinder zwischen 4 und 6 Jahren wird zusätzlich ein Elterntraining empfohlen, bevor eine medikamentöse Therapie begonnen wird.
Fazit: Offen bleiben – aber realistisch
Die Studien zeigen klar: Stimulanzien sind nach wie vor die wirksamste Behandlung von ADHS.
Das bedeutet nicht, dass Psychotherapie, Coaching, Bewegung oder Achtsamkeit sinnlos sind – im Gegenteil: Sie helfen, mit ADHS im Alltag besser umzugehen. Doch sie ersetzen Medikamente nicht vollständig.
Oder, wie der Forscher Prof. Edmund Sonuga-Barke von der Universität London es formuliert:
„Effektive Alternativen zu Medikamenten fehlen bislang. Die Entwicklung neuer, wissenschaftlich fundierter Ansätze bleibt eine der größten Aufgaben in der ADHS-Forschung.“
